Samstag, 25. November 2017

Klage gegen TUIFly wegen Flugausfalls im Oktober 2016 in zweiter Instanz am LG Hannover abgewiesen

Die EU - Verordnung 261/2004/EG wurde am 11. Februar 2004 vom Europäischem Parlament und Rat verabschiedet und trat am 17. Februar 2005 in Kraft. Unter bestimmten Voraussetzungen gewährt sie nach Art. 7 dieser VO dem Passagier einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch, insbesondere in Fällen von Flugannullierungen. Allerdings ist der Ausgleichsanspruch unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen, wenn "außergewöhnliche Umstände" für die Nichtbeförderung vorliegen, etwa ein Streik. Hierzu hat sich eine lebhafte Rechtsprechung entwickelt, die immer wieder zu Vorlagen an den EuGH führt.  

Die VO 261/2004/EG findet Anwendung bei Flügen innerhalb der EU, die von einer Fluggesellschaft aus der EU oder einem Nicht-EU-Land durchgeführt werden und bei Flügen aus einem Nicht-EU-Land in die EU, die von einer Fluggesellschaft aus der EU durchgeführt werden sowie bei Flügen aus der EU in ein Nicht-EU-Land, die von einer Fluggesellschaft aus der EU oder einem Nicht-EU-Land durchgeführt werden. Unter EU sind insoweit die 28 EU-Länder einschließlich Guadeloupe, Gibraltar, Französisch-Guayana, Martinique, Réunion, Mayotte, Saint Martin (Französische Antillen), die Azoren, Madeira und die Kanarischen Inseln sowie Island, Norwegen und die Schweiz zu verstehen. Nicht zur EU gehören die Färöer, die Insel Man und die Kanalinseln im Atlantik.

Selbst wenn Hin - und Rückflug zusammen gebucht werden, gelten sie als getrennte Leistungen. Haftbar ist immer die Fluggesellschaft, die den Flug durchführt, nicht etwa der Reiseveranstalter. 

Art. 5 dieser VO konkretisiert die verschiedenen Fälle der Annullierung, während Art. 6 der EU-Verordnung Nr. 261/2004 die Fälle der Verspätung regelt (die Abgrenzung führt immer zu neuem Streitpotential). Liegt eine dieser Fallgruppen vor, ist eine Ausgleichszahlung von bis zu 600,00 Euro (je nach Entfernung) nach Art. 7 der EU-VO 262/2004 fällig, sofern nicht der Aussschlußgrund des Art. 5 Abs.3 eingreift, die wie folgt lautet:  

"(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären". 

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer Schadensersatzpflicht aus Art. 12 EU-VO 261/2004 nach nationalem Recht, mit Anrechnung auf den Ausgleichsanspruch. Die Regelungen dieser VO sind teilweise defizitär (etwa für den Bereich der Darlegungs- und Beweislast),  aber eine "Reform" ließ sich bislang politisch nicht durchsetzen.

Der deutsche Flugbeförderungsmarkt ist seit Jahren von erheblichen Turbolenzen gekennzeichnet, die auch Auswirkungen im kollektiven Arbeitsrecht haben. Piloten und Flugbegleiter halten sich zumindest für schlecht bezahlt und versuchen ihre Rechte durchzusetzen. 

Dies geschah im Jahr 2016 gegenüber der TUIFly durch eine Art nichtgewerkschaftlichen Streik ("wilder Streik") im Sinne einer massenhaften Erkrankung von Piloten und Flugbegleitern, die zu einer Annullierung oder verspäteten Durchführung der gebuchten Flüge führten. Viele Passagiere forderten bei dem zuständigen AG Hannover Ausgleichsansprüche. In acht Fällen wurden die Verfahren durch Vorlagebeschlüsse ausgesetzt, um bestimmte Rechtsfragen durch den EuGH klären zu lassen. ES geht dabei um die Klärung folgender Rechtsfragen: 

"1. Stellt die Abwesenheit eines für die Durchführung von Flügen erheblichen Teils des Personals des ausführenden Luftfahrtunternehmens aufgrund von Krankmeldungen einen außergewöhnlichen Umstand dar? Falls Frage 1 bejaht werden sollte: wie hoch muss die Abwesenheitsquote sein, um einen solchen Umstand anzunehmen?
2. Falls Frage 1 verneint werden sollte: stellt die Abwesenheit eines für die Durchführung von Flügen erheblichen Teils des Personals des ausführenden Luftfahrtunternehmens aufgrund einer arbeitsrechtlich und tarifrechtlich nicht legitimierten Arbeitsniederlegung („wilder Streik") einen außergewöhnlichen Umstand dar? Falls Frage 2 bejaht werden sollte: wie hoch muss die Abwesenheitsquote sein, um einen solchen Umstand anzunehmen?
3. Falls Frage 1 oder 2 bejaht werden sollten: muss der außergewöhnliche Umstand beim annullierten Flug selbst vorgelegen haben oder ist das ausführende Luftfahrtunternehmen berechtigt, aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen einen neuen Flugplan aufzustellen?
4. Falls Frage 1 oder 2 bejaht werden sollten: kommt es bei der Vermeidbarkeit auf den außergewöhnlichen Umstand oder aber die Folgen des Eintritts des außergewöhnlichen Umstands an?"
Aber nicht alle zuständigen Richter sind diesen Weg gegangen, sondern haben die Ausgleichsansprüche abgelehnt. Inzwischen ist einer dieser Fälle in der Berufungsinstanz entschieden worden, wiederum ohne Vorlage an den EuGH. Es wäre im Sinne einer einheitlichen Rechtsprechung sinnvoll gewesen, die Entscheidungen des EuGH abzuwarten. 
Mit diesem Berufungsurteil der 8. Zivilkammer des LG Hannover ist eine auf Zahlung eines Ausgleichsanspruches gerichtete Klage abgewiesen worden.  
Die Kläger hatten mit ihrer Klage Ausgleichszahlungen nach der EG-Fluggastrechteverordnung in Höhe von 800,- EUR (je 400 Euro) von der Airline gefordert. 

Die Kläger wollten am 6. Oktober 2016 von Kreta nach Stuttgart fliegen, ihr Flug wurde jedoch gestrichen, weil sich eine große Zahl von Piloten der Beklagten krank gemeldet hatte. Diese massenhaften Krankmeldungen standen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Entscheidung der Unternehmensführung der Fluggesellschaft über beabsichtigte Umstrukturierungen. Die Kläger wurden erst am Tage darauf befördert und hatten ihr Ziel mit einer rd. 30-stündigen Verspätung erreicht. 

Die Luftverkehrsgesellschaft hatte Zahlungen mit dem Argument abgelehnt, es habe sich um einen „wilden Streik" des Personals gehandelt, der einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs.3 der VO darstelle. Unter einem nichtgewerkschaftlichen Streik, sog. "wilder Streik" wird eine kollektive Arbeitsniederlegung einer Belegschaft oder von wesentlichen Teilen einer Belegschaft verstanden, die unabhängig von einer Gewerkschaft einen Arbeitskampf führt. Allerdings kann einer Gewerkschaft einen solchen Streik übernehmen und damit legalisieren, was vorliegend nicht der Fall war. Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit nach der sog. "Nipperdey - Rspr." des BAG wird immer öfter in Zweifel gezogen (s. nur, Berg/Kocher/Schumann, Hrsg., Tarifvertragsgesetz und Arbeitskampf, 5. Auflage, Teil 3, Rn. 203. Diese Zweifel werden aber dort verstummen müssen, wo ein solcher Streik über das Entgeltfortzahlungsgesetz finanziert werden soll. 

Nach der Fluggastrechteverordnung sind bei außergewöhnlichen Umständen keine Entschädigung zu zahlen. Die Fallgruppen des Art. 5 Abs.3 der VO sind aber im Detail und in Grenzbereichen umstritten (s. nur, Staudinger/Keiler (Hrsg.), Fluggastrechte-Verordnung, Erstauflage, 2016, Art. 5, Rdnrn. 6 ff m.w.N., s. insbes. Rn. 26). Diese Frage hat die Rspr., auch den BGH, bereits beschäftigt. 

In der Entscheidung, BGH, Urt. v. 21.08.2012, AZ: X ZR 146/11, hatte der BGH einen Ausgleichsanspruch abgelehnt, weil ein Streik einen außergewöhnlichen Umstand darstellt. Dieser Entscheidung lag aber ein gewerkschaftlich organisierter und damit legaler - vom Grundgesetz gedeckter - Streik zugrunde. Hier geht es aber um einen gewerkschaftlich nicht organisierten "Wilden Streik", sofern man hier den Streikbegriff überhaupt anwendet. Es ist kaum anzunehmen, dass der BGH den "Wilden Streik" insoweit anders einstufen wird als einen legalen Streik, weil der eine wie der andere von den Beförderungsunternehmen nicht beherrscht werden kann. 
Bereits das Amtsgericht Hannover hatte die Klage der Passagiere abgewiesen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung hat die 8. Zivilkammer zurückgewiesen. 

Zur Begründung schloss sich das Landgericht dem Amtsgericht an. Ein nicht gewerkschaftlich organisierter „wilder Streik" dieses Ausmaßes stelle einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung dar, der für die Fluggesellschaft nicht beherrschbar gewesen sei. Damit habe die Airline nicht rechnen müssen, es müsse vielmehr auch einer Fluggesellschaft möglich sein, ihre Betriebsangehörigen über eine mögliche wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens zu unterrichten. 

Auch arbeitsrechtliche Maßnahmen hätten den konkreten Flugausfall nicht verhindern können, weil diese einige Tage in Anspruch genommen hätten; Abmahnungen oder Kündigungen wären in dieser Situation nicht zielführend gewesen. Es sei auch nicht feststellbar gewesen, dass sich die Annullierung des Fluges durch andere zumutbare Maßnahmen habe vermeiden lassen können. 

Das Landgericht hat die Revision gegen die Entscheidung zugelassen. Wenn die Kläger dieses Rechtsmittel einlegen, müsste der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheiden, wenn eine Revision eingelegt wird. Wie auch immer: der EuGH wird sich zu dieser Streitfrage aufgrund der acht Vorlagebeschlüsse ohnehin äußern müssen, so dass die Frage dann abschließend geklärt sein wird. 

Quelle: Pressemitteilung des LG Hannover zu Az.: 8 S 25/17

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